Ein Jahr ist es her, dass wir den Camino Frances gelaufen sind.
Wir sind ein Paar geworden. Nach dem Weg, während des Weges. Vielleicht an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.
Urlaubsflirt, wurde unser Zustand betitelt. Und wir können zu Recht sagen: Ihr irrt!
Was also ist anders an einem “Camino couple”? Wie ist es möglich, nach einer kurzen Zeit ein gemeinsames Leben zu planen, zu leben und dabei auch noch vollkommen glücklich zu sein?
Ich sag’s euch.
Es ist das Aufeinandertreffen der, im wahrsten Sinne des Wortes, ungeschminkten Wahrheiten. Anders als bei einem All-inklusive-Malle-Urlaub (oder anderen Urlaubsarten, bei denen man sich zum Abendbrot erst einmal umzieht und hübsch macht 🙂) kannst du dich auf dem Camino hinter nichts verstecken oder vermeintliche Joker und Vorzüge in den Vordergrund stellen.
Du begegnest deinem Gegenüber, ungeschminkt, in den immer gleichen Klamotten. Staubig, schwitzend. Du triffst ihn in den Herbergen, morgens gleich nach dem Aufwachen. Die Haare verstrubbelt, die Zähne noch nicht geputzt, mit deinem Schlafsack kämpfend. Immer noch völlig übermüdet und erschöpft vom Vortag. Er steht neben dir, während du per Hand deine Unterwäsche wäscht, er wartet auf dem Weg, während du hinter einem Baum pinkelst und hoffst, dass im Rucksack noch ein Feuchttuch zu finden ist. Du gehst bei Kälte, Regen, Hitze, Sonne, Schmerzen. Über die Pyrenäen bergauf und bergab, durch die Meseta, hunderte Kilometer stumpf geradeaus. Links und rechts einfach nichts.
Du bist fröhlich, traurig. Du weinst, lachst, bist verzweifelt oder motiviert. Du hörst zu und lernst. Du schweigst, redest, fluchst, jammerst oder singst.
Du lernst dein Gegenüber in kürzester Zeit mit all seinen Stärken und Schwächen kennen. Dabei geht es nicht um deinen Job, dein Auto, deinen Kontostand. Es geht um dich. Als Mensch, als Individuum, als Begleiter an deiner Seite, als Antreiber oder Abbremser. Es geht um’s “zusammen da durch gehen.”.
Nach einem Jahr kann ich sagen: Ja, wir kannten uns nach einer Woche besser als jeden anderen Menschen, dem wir in unseren Leben begegnet sind, nach Monaten oder Jahren. Und das hat sich in unserem neuen, gemeinsamen Leben bestätigt. Keine Emotion des letzten Jahres war uns fremd oder hat uns überrascht. Wir kannten sie bereits alle.
Wir erkennen ohne Worte, wie es dem anderen geht, wann er nachdenklich ist, wann er Hilfe braucht, wann nicht. Trotzdem reden wir über all das. Wir schlucken nichts runter oder halten etwas aus. Denn wir wissen, wir schaffen den Weg nur mit Freude und Leichtigkeit, wenn wir alles auf diesem Weg wohlwollend und ohne Beurteilung besprechen.
Wir haben gelernt, mein Schmerz ist nicht dein Schmerz. Dein Schmerz nicht meiner. Aber wenn es uns hilft, wenn es uns weiter trägt, dann lassen wir es zu unserem werden.
Mein Weg ist nicht deiner. Deiner nicht meiner. Jeder braucht seinen eigenen Weg und dann ist es auch unser Weg.
Unser Leben ist spannend, aufregend und immer wieder neu. Langeweile kennen wir nicht, obwohl wir natürlich auch sehr ruhige Zeiten haben. Alles ist entspannt, fröhlich, leicht. Selbst schwerere Zeiten, wie die Zeit des Neuanfangs nach dem eigentlichen Camino, haben wir gemeinsam mit ganz viel Vertrauen und Kraft gemeistert.
Die Zeichen stehen auf “wundervoll”.
Der Camino 2024, der erste, den wir gemeinsam begonnen haben, der erste, an dem wir gemeinsam nach Hause kamen, ist nun auch schon gegangen.
Er war sehr still. Nicht weil wir uns nichts zu sagen hatten, nicht weil wir gelangweilt waren. Nicht weil nichts Spannendes passiert ist.
Er war still, weil wir beide jeden Tag in Stille einfach dankbar waren.